Kaum sind die Stadien gefegt, der Rasen geflickt und die Trikots gewaschen- obwohl es ja neue gibt-, schon steht der nächste Fußballsommer vor der Tür, wobei die Pille nicht an Tor- oder
Türpfosten prallen, sondern möglichst im Tornetz versenkt werden sollte.
Ein Spektakel, dem man bei gutem Wetter, Grillduft, Bierflaschen- und Weißweinschorle-Stößchen sowie Euphorie-Gesängen und Fahnenschwingen auch dann etwas abgewinnen kann, wenn einen dieser Sport
den Rest des Jahres eher unberührt lässt.
Ich gebe zu, ich gehöre zu diesen Teilzeit-Fans, wobei ich all dem Trubel inzwischen auch mehr abgewinnen kann, als bloß der Frage nach dem schönsten Trikot-Träger oder nach der ominösen
Abseitsregel.
Abgesehen vom Fußballfiber selbst, finde ich allerdings auch die Spielfelder abseits der Kommentatoren-Kabinen, Scheinwerfer-Kegel und Nationalhymnen-Aufgebote sehr beachtens- und
hinterfragenswert. Hierzu zählt beispielsweise der Kommerz samt Fußballhype, das Gemeinschaftsgefühl oder auch die eigene Person als Teil dessen.
Der Reibach, die Vermarktung und das Kommerzielle, gehen den üblichen 90 Minuten voraus, begleiten diese und wissen diese auch im Nachgang zu nutzen.
Unglaublich, was hinter den Kulissen für Geld fließt und wer alles vom Sport profitiert, ohne, dass der Durchschnittszuschauer es en Detail mitbekommt. Wobei ganz spurlos geht der Hype doch nicht
am Ottonormalverbraucher vorbei, da Dinge wie z.B. Chips, Bier, Nusscreme oder Nudelsoßen von Testimonials der Fußballwelt beworben und für gut befunden werden.
Ich bezweifle, dass Stürmer oder Torwarte jeden Abend nichts anderes tun, als Bier und Chips mit Freunden zu genießen, ohne, dass das Spuren hinterlässt.
Während des Spiels springen den Zuschauern Werbebanner, Sponsoren oder Trikotaufdrucke entgegen, nach einer gewonnenen Partie hagelt es auf einmal Prozente und Rabattaktionen bei
Elektronikanbietern oder Fastfood-Ketten, und durch Sammelaktionen bekommt jeder die Chance, quasi live neben dem Schiedsrichter das Event mitzuerleben.
Es kann schon verwunderlich sein, dass Vereinshelden neben üppigen Gehältern auch noch Anzüge, Uhren, Elektronik sowie Autos und Co. für Lau abstauben, einfach weil sie einem Ball hinterherjagen
und als Geldmagnete fungieren.
Spannend ist auch die Frage, wer wie entscheidet, wo die nächste Turnieraustragung stattfindet. Dass das Sportevent dem ausrichtenden Land Prestige, wirtschaftlichen Aufschwung und Bekanntheit
bringen kann, bleibt dabei ein offenes Geheimnis, und so mancher wundert sich, dass bei den wichtigen Entscheidungen Aspekte wie politische Situation oder Grundwerte kaum eine Rolle zu spielen
scheinen.
Obwohl so manch Fragwürdiges hinter der Werbeindustrie und Geldmacherei im Fußballbusiness gefunden werden kann, so muss man schlicht aber auch festhalten, dass viele Fans bei diesem Spektakel
mitgehen und sich im Wust wohlfühlen, Spaß am Produktkauf haben und den Heldenhype aus purer Freude ausleben. Die WM ist schließlich eine besondere Zeit, in der man sich aufs Wetten, Prämien
sammeln und Trikottragen voller Faszination einschießen kann. Vielleicht ist das auch Teil des Geheimnisses des großen Fußballerfolgs?
Abseits des Anpfiffs und der Torjagd findet eine Symbiose und ein von Gemeinschaft getragenes Ereignis statt, das fast seine eigene WM verdienen würde. Gelten die Germans den Rest der Zeit eher
als reserviert und unterkühlt, so beweisen sie bei EM, WM und Co. das genaue Gegenteil. Die Leute jubeln für ihre Mannschaft oder für ihr Land und werden für ein paar Wochen gemeinsam Eins, weil
sie gemeinschaftlich einer Vision, einem Ziel entgegenfiebern.
Da wird sogar die Omi von nebenan zum Public Viewing eingeladen und nach dem Abpfiff mit Fähnchen am Rollator beseelt nach Hause geleitet. Was wäre Fußball ohne Fangemeinde. Nirgendwo kann man so
schön ausflippen und bei Torfall durchdrehen, wie in der großen Masse der Mitjubelnden und Gleichgesinnten. Neue Bekanntschaften, gar Freundschaften entstehen, man feiert zusammen, leidet
zusammen und hat Freude daran, Teil des Großen Ganzen zu sein.
Wer ist 2006 im Sommermärchen nicht jubelnd durch die Straßen gezogen und war überrascht, dass der Fußballalltag so locker leicht genommen werden konnte? Das Gemeinschaftsgefühl von damals hält
noch bis heute vor und darf in ein paar Tagen wieder exzessiv aufleben.
Abgesehen vom den vollen Tribünen oder der Massenhysterie könnte man auch auf die Idee kommen, sich einmal im Stillen sein eigenes Spielfeld, samt Mannschaft, Trainer, Ball und Zielgenauigkeit
anzuschauen.
Welchem Ball jage ich hinterher? Jage ich ihn zielstrebig oder sehe ich ihm nur nach, während andere die Chance ergreifen? Was sind die Bälle, die
ich noch versenken muss? Weiß ich, mit welchem Fuß ich sie zu nehmen habe, an welcher Stelle ich sie kicken soll? Kalkuliere ich Geschwindigkeit und Flugbahn? Weiß ich, auf welches Tor oder Ziel
ich zusteuern muss? Gebe ich alles, um als Gewinner vom Platz zu gehen?
Wer hat mich trainiert, von wem lasse ich mir Ratschläge geben oder von wem stecke ich Kritik ein? Trainiere ich genug für meine Ziele oder liege ich nur auf der Seitenlinie und ärgere mich, dass
sich nichts verändert, dass keine Tore fallen und bloß andere siegen? Bin ich überhaupt im Spiel oder sitze ich teilnahmslos auf der Bank?
Wie sieht es im Mannschaftsgefüge aus? Habe ich überhaupt eine Mannschaft oder bin ich Einzelkämpfer? Wer unterstützt mich und wem darf ich die Bälle zuspielen? Wer bügelt meinen schlechten Pass
aus oder verwandelt meine Flanke? Wer zählt auf mich und darauf, dass ich auf meiner Position stehe und nicht in der Kabine unter der Dusche oder am Imbiss-Stand im Stadion?
Und nach dem Spiel? Wer ist der nächste Gegner? Wie gut bin ich vorbereitet? Gönne ich mir eine Regenerationsphase? Ruhe ich mich auf dem Pokal und dem Jubel aus oder geht es weiter, bleibe ich
kontinuierlich am Ball? Pflege ich meine blauen Flecke und Blessuren sowie meine Ausrüstung und den Mannschaftsgeist oder das Verhältnis zum Trainer oder Physio?
Wie grün ist mein Spielfeld, mein Rasen eigentlich? Ist das Gras der anderen (Spielfelder) immer saftiger und grüner als mein eigenes? Pflege ich es oder ist es gespickt von Löchern der letzten
Rückschläge und Niederlagen?
Schätze ich meine Leistung im Spiel richtig ein? Weiß ich Bescheid, wenn ich falsch geschossen habe, auch ohne Videobeweis oder sind andere schuld? Nutze ich meine Spielzeit richtig, schöpfe ich
90 Minuten voll aus oder spekuliere ich schon vor Anpfiff auf eine Nachspielzeit? Kann ich meine Kräfte richtig einschätzen und einteilen? Weiß ich, wann es zu viel ist oder wann es an der Zeit
ist, durchzuziehen und auch dann nochmal alles zu geben, wenn es ausweglos erscheint?
Vertraue ich meinem Trainer und mir selbst? Habe ich überhaupt einen Trainer, der mit mir die nächsten Schritte und die Spielstrategie plant und genau weiß, wie er mich einsetzen muss?
Was gebe ich auf Kommentare von außen, von Zuschauern oder dem Kommentator, die alles kritisch beäugen und ihren Senf dazu geben, auch, wenn sie keine Grillwurst in Händen halten?
Wie sieht dein Spiel gerade aus?
Siehst du dein Leben wie ein großes (kommerzorientiertes) Fußballturnier, in dem ein Event das nächste jagt oder steckt mehr in deinem Leben. Hat es einen größeren Wert, auch nach
Saisonaus?
Trainierst du nur kurz bevor es ernst wird oder hast du auch Disziplin in Spielpausen oder Durststrecken?
Hält deine Mannschaft nur auf dem Platz zu dir oder auch am Spielfeldrand? Bist du ihr auch in Niederlagen treu?
Egal wie deine Antworten ausfallen, es ist nicht zu spät, wieder mit dem Training anzufangen, sich neuen Mannschaftszuwachs zu suchen oder den Trainer bzw. den Verein zu wechseln. Ebenso wenig
ist es zu spät, vor dem nächsten Schuss noch einmal durchzuatmen, Tempo rauszunehmen oder nach der Halbzeit andere aufs Feld zu lassen.
Vielleicht steht auch etwas ganz Neues an und du brauchst vom ganzen Fußballtrubel erst einmal eine Auszeit? Vielleicht eine andere Sportart oder die Aufgabe als Platzwart im Heimatkicker-Verein,
einfach um mal die Perspektive zu wechseln?
Soweit steht es momentan mit meinen Überlegungen rund um das Runde, das möglichst im Eckigen platziert werden soll. Sicher könnte man noch viele Aspekte betrachten, vielleicht in vier
Jahren?
Wer Muse hat, kann mir by the way gerne nochmal die Abseitsregel erklären, damit ich in ein paar Tagen gut vorbereitet und wissend vor der Mattscheibe jubeln kann.
Vielleicht sitze ich dann mit meinen Mannschaftskameraden bei von Kickern beworbenen Bier- und Snackvariationen, vorm billig geschossenen Beamer mit top Soundsystem und wir freuen uns einfach auf
die nächsten 90 Minuten voller Spannung, auf die nächsten Wochen voller Action und vielleicht auf das nächste Sommermärchen.
(c) Marie Gabrielle
Kommentar schreiben